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MALPROZESS

 

hort der geballten kreativitaet, schweiss riecht nach balsamterpentinoel. von neonlicht erleuchtet. laengst vergessene bilderstapel stellen sich in den weg der erkenntnis. einmal gegentreten und so tun, als ob die absicht fehlt. die eigene platznotdurft wiederherstellen. zwanghafte ordnungsmuehen abhaken. die stuehle ordnen, zweimal am eigenen revier entlanglaufen, der erste blick auf die bilder zaehlt. hinsetzen und wirken lassen. der blick aus dem fenster. die eingetrockneten farbreste ueberpruefen. mit den fingern ueber die leinwand streichen. einen schluck terpentinoel in ein glas fuellen. farbe obendrauf. nur welche. fuer die grundierung warm oder kalt, dick oder duenn. das gefuehl entscheiden lassen. sehen, welche farbe sich selbst zusammen mischt. mit den tiefen, dunklen toepfchen geht das gut. mit kalt anfangen, dann langsam waermer werden. vielleicht. dem zufall seine chance geben. oder die juengsten, unterbewussten neuronalen verzwickungen aufspuehren / aktivieren / auskippen. gespeicherte fetzen des wetters, der luft, jahreszeit, licht. mit gefuehlen verquirlt gibt das eine schoene sosse. vom kopf direkt in den arm. starker informationsverlust unterwegs. das auge kaempft dagegen an. beeinflussung der gespeicherten informationen (und nicht-informationen) durch die intensive betrachtung des entstehenden -rueckkopplung. qualitaetskontrolle-informationswiederbeschaffung. abgleichen, annaehern. zuruecktreten, den ueberblick ziehen lassen. hinsetzen und die fehler suchen. den kopf nach links und rechts kippen. den frischen blick suchen. wann ist es soweit? was ist ES? etwas stimmt noch nicht. im kopf herumwuehlen. eilig eine farbe mischen. den kruemeligen gedanken nicht verlieren. den finger draufhalten. das auge anweisen noch klarer hinzusehen. durchdringen. versuchen das hirn im ganzen daran teilhaben zu lassen. unter der fingerkuppe kribbelt die idee. auch wenn ich sie nicht mehr sehen kann. den finger nicht wegnehmen, sonst ist alles weg. die neue farbe in die leinwand mischen. zusehen, was passiert. umdrehen, die gedanken und den kopf lockern, etwas entfernen. den richtigen winkel fuer das licht finden. hinsetzen und ein paar haare raufen. mit dem pinsel auf dem eigenen stuhluntersetzer den takt mitklopfen. den eigenen rhythmus suchen, aufgeregter trommelwirbel mit stoerungen. gleichzeitig die gedanken und nichtgedanken ueber das bild fliegen lassen. weiter nach unstimmigkeiten suchen. bloss nicht zu viel farbe aufnehmen und abgeben. bekomme diese stelle nicht zum rest des bildes. verbindungen suchen. zusammenwischen, waschen. wie ist es moeglich das wetter, licht, farbe, atmosphaere mit all ihren vielschichtigen zusammenhaengen, abhaengigkeiten zu zweidimensionalisieren? auf duenne farbe zu beschraenken, die platt auf der leinwand klebt? ein thema das sich nur mit allen sinnen gleichzeitig erfahren laesst. und dann auch nur, wenn das ganze mit den eigenen erfahrungen und gefuehlen gemischt wird. versuchen eine essenz zu finden. auf den punkt bringen. aus gold blei machen. jetzt fliegt ein anderer teil bedeutungslos herum. besser machen, besser machen. weiter machen, auch wenn es schon auf dem weg nach unten ist. besserungsversuche als erdrutsch. alles fliegt auseinander. nichts geht mehr. versuch mit grossem pinsel alles noch einmal durchzuruehren. spannungspunkte loesen sich auf. gruetze. in die ecke stellen und schaemen. dort sich selbst trocknen lassen. vielleicht hat man eine gute grundierung fuer die naechsten tage erschaffen. an etwas anderes denken. wahlsprueche auswerfen. zwischen den waenden hin und her gestossen werden. hinsetzen, rauchen. nur nicht in der eigenen ecke. zeitungen blaettern. aus dem fenster gucken. kleine dinge in die hand nehmen, abtasten. mit dem auge zersetzen, filtern, ablegen. grosse dinge aufnehmen. die raeumlichkeit verschwinden lassen. den zusammenhang verstricken, zum knaeul drehen und gleichmaessig ueber das gehirn verteilen. sich ein bild machen. das bild sich selbst machen lassen. bilder aufsaugen. die unbewusstseinsbilderbatterie aufladen. das zentrale nervsystem kalibrieren. einen abgleich mit dem kosmos herstellen. sich als teil vom ganzen aufloesen. frische leinwand entjungfern. losschmieren. hintergrund ineinandermischen. den arm schneller bewegen als das auge. zwei farben ineinanderunterjochen. ritze ratze mit viel tuecke in die bruecke eine luecke. alles ausschalten. nur noch die bewegung vom pinsel auf der leinwand und dem pinsel auf der palette argwoehnisch beobachten. alles um einen herum auf einen punkt konzentrieren. den in sich aufnehmen und zerfliessen lassen. wohlig im koerper umherrollen lassen. den pinsel ueber die leinwand laufen lassen. das licht suchen. hineinstreichen. kalte farbe auf warme legen. kanten anlegen. brueche erzeugen. das terpentinoel aufsaugen. gegen das licht die dunkelheit antreten. auswiegen. eine flaeche zum ausruhen ausweisen. bei der richtigen mischung wird kalt-warme farbe ineinander zum nichtraum oder zur nichtfarbe. das richtige verhaeltnis zwischen der helligkeit und den farben finden. damit diese sich gegenseitig festhalten / umklammern. oder sich abstossen um in festen schichten uebereinander zu liegen. einen haltbaren ausgangspunkt mit dicker dunkler farbe markieren. konzentrationspunkte antagonistisch zum leeren raum. den uebergang auswiegen. lichtquellen weiter hinten im nebel verschwinden lassen. mit vielen schnellen pinselstrichen die farben aufheizen, verschmelzen. auf die grauwerte achten. den siedepunkt nicht verpassen. den pinsel nicht mehr wahrnehmen. nur noch kleinste mischungen verschieben. fast unsichtbare rasterungen und muster in die feuchte farbe reiben. der duktus soll dem auge halt ohne anhaltpunkt geben. zeigt den weg ueber das bild. unbewusster wegweiser. die staffelei quietscht im jammernden rythmus mit den pinselstrichen, stemmt sich entgegen. kleinste pigmentverteilungen beobachten. die raender nehmen den schwung heraus. treiben zurueck zum zentrum. schnell wischen aber jeden zentimeter langsam zurueckarbeiten: der pinsel reagiert traege auf farbveraenderungen. dunkle flaechen in schlieren auslaufen lassen. oder als hintergrunderscheinung mit bruchkante stoppen. zuruecktreten wenn der richtige moment zur selbstkritik gekommen ist. den kopf schief legen, zwei bis drei meter abstand gewinnen und ruckartig umdrehen. in der ersten zehntel sekunde des betrachtens kann ich das bild, ohne dem bewusstsein das ich dafuer verantwortlich bin, sehen. manchmal. wenn auf anhieb alles stimmt einen stuhl (nicht richtig bequem), den winkel und den abstand suchen. nochmal hektisch zur leinwand stuerzen. zur ruhe rufen. vorsichtige verbesserungen. mit dem spachtel noch mehr preussischblau-umbra-krapplack-mischung anhaeufen. ein licht etwas herausholen. hinsetzen und vertiefen. lange sitzen und beobachten. die gedanken loslassen. vergleiche mit den werken an der wand. dieser kurze moment der seelischen befriedigung etwas erschaffen zu haben, was einem selbst genug ist durchstroemt den koerper. reizt nach mehr. Homunculus cumulus.

 

patrick muise, herbst 1999

 

 

 

Muise ist Maler. In seinen abstrakt anmutenden Bildern bündelt sich der bisweilen satte Auftrag changierender Farben zu energetisch aufgeladenen Formen, die von durchscheinenden monochromen Flächen gefasst oder auch überlagert werden. Die übereinander gelegten Farbschichten erzeugen einen gestaffelten Bildraum, in dem sich räumliche Tiefe und eine schier endlose Weite ergeben. Gleichzeitig wirken die Bilder durchscheinend, haben etwas Flüchtiges und Ätherisches. Im Blick des Betrachters klingen Landschaften an und tatsächlich beschäftigt sich der Künstler mit der Natur beziehungsweise mit natürlichen Phänomenen. Allerdings hat er keine konkreten und bewussten Vorbilder. Der Künstler malt nicht „nach der Natur“ –sondern bringt vielmehr die Idee von Landschaft auf die Leinwände. Man könnte auch von inneren Landschaften sprechen, die sich im Malprozess nach außen formulieren. In diesem Sinne handelt es sich bei den Motiven von Muise um Orte der Sehnsucht – ein Topos, der bereits in der deutschen Romantik entstand. (Barbara Heinrich)

 

 

Aus der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen, im September 2000

 

Weite Räume für die Emotion Ein durchaus ungewöhnliches Bild bietet sich dem Besucher der Galerie Stellwerk im Kulturbahnhof zur Zeit: In der kleinen Halle der zumeist recht hippen, in jedem Falle aber höchst aktuellen Kunst, hat die Malerei – man möchte fast sagen : die altmeisterliche – Einzug gehalten. Unter dem Titel „Der ewige Tag“ zeigt Patrick Muise seine Ölgemälde, die immer wieder um das gleiche Sujet kreisen : Der Auseinandersetzung mit Licht und Farbe; dem immerwährenden Thema der Malerei. Was im Pressetext etwas flapsig als „neuzeitliche Lüftl-Malerei“ bezeichnet wird und tatsächlich an diffuse Wolkenbilder erinnert, ist der Versuch, Atmosphäre in Öl einzufangen. Dies geschieht in gedeckten Braun- und Grüntönen, deren Nuancen ausgesprochen fein abgestuft werden. Die Motive erinnern an nebelumhangene Gipfel, dunkle Schluchten und Silberstreifen am Horizont. An die Natur angelehnt, seien sie jedoch durch seinen subjektiven Filter gegangen, so Muise. Die Bilder leben von Farb-, insbesondere aber von Hell- Dunkel- Kontrasten. Sie erinnern stark an Gemälde der dunklen Seite des Barock – wie beim späten Goya-, der Romantik oder an die impressionistischen Bilder Turners. Hervorragend gelungen ist die Hängung der mittel- bis kleinformatigen Arbeiten, die sich locker auf der Wand verteilen, bisweilen werden Linienführungen über mehrere Arbeiten hindurch aufgegriffen. Die Gemälde Patrick Muises sind schön. Sie bieten weite Räume für Assoziation und Emotion, tiefe Abgründe und einsame Höhen für die Romantik. Es sind Arbeiten, mit denen der Betrachter gut leben kann : Leise, geheimnisvoll. Könnte es aber sein, dass dieses immer wiederkehrende diffuse Sujet dem Künstler zur Obsession geworden ist? Eine Arbeit sticht mit einer einzigen pastos gearbeiteten Ecke hervor: Wie magisch scheint sie den Betrachter anzuziehen zwischen den weichen Farbnuancen – und fast macht sich ein Gefühl der Befreiung breit.

 

 

Regina Bärthel